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BÄNKELSÄNGERS MORITAT
War es Ungeschick, das ihn als Beobachter verriet, sein Teleobjektiv, in dem sich die Sonne spiegelte, vielleicht dieses heimliches Getue, wofür seine Schauspielkunst nicht reichte? Jedenfalls wurde er beim Fotografieren ertappt und es war ihm zuwider, als ihn die Frau zur Rede stellte, unterstellte, dass er im Auftrag des Ehemannes spioniere. Ein Streit kam in Gang und sie forderte die Herausgabe des Filmes, nannte sein Verhalten unanständig, worauf er nur lachte, sagte, sie sei die Unanständige, sie sei es, die ihren Ehemann betrüge, also nicht das Recht besäße zu moralisieren. Mein Auftraggeber, sagte er und meinte den Betrogenen, habe einen Anspruch, zu erfahren, ob und mit wem es die Ehefrau treibe. Sie wurde daraufhin ausfallend. Bänkelsänger saß nur wenig entfernt auf einer hübschen Parkbank und schrieb wie immer seine Verse, kleine Novellen oder Humoresken, Weisheiten über untadeliges Leben und Sitte. Das Hin und Her der Worte störte nun seine Kreise. Es war ihm lästig, zu hören, mit anzusehen, wie die beiden handgreiflich wurden. Sie versuchte die Kamera an sich zu reißen, den Film zu belichten und unbrauchbar zu machen, während der bullige Detektiv abwehrte. Er war ihr überlegen. Notgedrungen erhoffte sie Hilfe vom Liebhaber, dem sie winkte, einem dürren, blassgesichtigen Kerl. Der blieb jedoch auf Distanz und wollte, so schien es, mit dem Streit nichts zu tun haben, befürchtete wohl zuviel Aufhebens oder war nicht Manns genug, der Freundin beizustehen, die umso couragierter für ihr Recht focht. Bänkelsänger schwankte, ob der Anstand verlange, wegzusehen oder gar zu gehen, aber er blieb und ermahnte sich zur Pflicht, ein wachsames Auge zu halten und gut zuzuhören; das Geschrei gewann nämlich an Schärfe. Er skizzierte die Groteske, machte sich einen Reim darauf und zog seine Lehre. Der Fotograf wollte fliehen, doch riss ihm die Frau einige Knöpfe vom Mantel und ließ nicht locker, bis sie seine Brieftasche zu fassen bekam, sich die Beute unter die Bluse schob, als ein Pfand, fest an die Brust gedrückt. Da verlor er die Nerven. Grobschlächtig packte er zu und zerriss ihr Oberteil. Bänkelsänger blickte sich besorgt um, wer notfalls zum Eingreifen bereit war, aber die Leute nahmen keine Notiz. Was geschah, sollte geschehen. Ein Spaziergänger kam entlang und spielte geschäftig mit seinem Hündchen, ließ dem Tier Lauf und Freiheit, warf den Stock, lobte den Apport. Der unwürdige Streit war keine Angelegenheit für ihn. Ihm, Bänkelsänger, rief sich jenes Unglück ins Gedächtnis zurück, über das er unlängst eine Elegie verfasst hatte, Klage und Anklage zugleich, um solchen Hundehaltern ihr wahres Gesicht zu spiegeln. Mit dem Stück war ihm zur eigenen Zufriedenheit eine Moral gegen das Nichtkümmernwollen gelungen, anhand einer wahren Begebenheit, als drei Kinder auf dem zugefrorenen Weiher gespielt hatten und das Eis brach. Alle drei ertranken, obwohl die Leute am Ufer zuschauten, wegschauten, hin- und herschauten; obwohl dieses Ufer nur wenige Meter entfernt war; obwohl das Wasser gerade mal hüfttief war. Jedermann wusste, dass hier das Wasser seicht ist. Dort unten, wo jetzt wieder der Hund gelobt wurde und sein Bein hob, dort, in Bänkelsängers Nähe, spielte sich dieses Unglück ab, vor den Augen der Leute. Aber alle sahen nur zu, wie die Kinder ertranken. Warum? Es vermochte niemand zu erklären, hinterher war es ihnen unerklärlich. Sie alle waren wie gelähmt und betrachteten das Ringen nach Luft, dann nur noch die Luftblasen und irgendwann ein Heer von Sanitätern, verzweifelt kämpfend, die Kleinen aus dem Wasser zu ziehen und zu beatmen. Jede Hilfe kam zu spät, vor über zwanzig Jahren. Menschenskind, sagte sich Bänkelsänger, wie geschwind doch die Zeit vergeht, da zögert man eine Sekunde und schon sind Jahrzehnte um. Auch der dürre Kerl, von dem sich Bänkelsänger erhoffte, er würde endlich der Pflicht folgen und seiner Geliebten zur Hilfe eilen, war schon auf der andere Uferseite angekommen und wurde immer kleiner, bis er, der blasse Liebhaber, der unscheinbare Freund, ganz verschwand. Bänkelsänger war die letzte Rettung, nun lag es an ihm, einzugreifen, sich zu ereifern. Doch irgendetwas lähmte ihn, fesselte ihn an diese Parkbank. Er, der er sonst nur Friedensdingen sein Ohr schenkte, bekam Schläge zu hören, das Brechen von Knochen. Der Detektiv hatte die Frau getroffen, wie im Rausch, der ihn tollwütig machte. Bänkelsängers Mut erlosch. Er zweifelte kühl, ob der Frau damit gedient sei, Hals über Kopf einzuschreiten, Kopf und Kragen zu riskieren. Würde ihn dieser Kerl bezwingen, dachte er, was dann? Ihm erschien es klüger, den Kampf abzuwarten, erst teilnahmslos zu bleiben, um später richtige Erste Hilfe zu leisten. Bänkelsänger zögerte also mit Bedacht, derweil sie auf den Boden schlug. Der Fotograf griff sich seine Brieftasche, starrte auf das viele Blut und rannte davon. Bänkelsänger wollte eben aufspringen, der Bewusstlosen beistehen, da verspürte er einen Verdacht. Diese rote Lache glänzte in der Sonne wie Teer, assoziierte dem Dichter Unreinheit. Ein Lichtspiel nur, gewiss, aber der Zweifel wurde genährt: War ihr Blut womöglich schlecht, gab es ein Risiko für Leib und Gesundheit? Hatte Sie nur diesen einen Liebhaber oder viele von der Sorte? War der eine deshalb so treulos geflüchtet, weil er keine Verpflichtung einzugehen brauchte, nicht wegen einer einzigen Nacht? Müde hatte er ausgesehen, verdächtig blass, verdächtig dürr, verdächtig ansteckend? Trotz derlei Einwände ermahnte sich Bänkelsänger zur Pflicht, Gesetz und Moral verlangten es doppelt, wenigsten ihren Puls zu prüfen, notfalls die Atemwege befreien und selbst Courage zu haben. Aber je näher er kam, desto größer wurde eine neue Sorge: Was wenn sie tot ist? Könnte dann er in Verdacht geraten, zum Spielball von Justiz und Presse werden, mit seinem Konterfei auf dem Titelblatt jeder Zeitung, sein guter Name als Schlagzeile und in Verruf? Er bremste die Schritte und glaubte, dem Gewalttäter irgendwie ähnlich zu sehen, ihm von der Statur zu gleichen. Seine eigene Kleidung, stellte Bänkelsänger fest, war auffällig. Alle Indizien würden gegen ihn sprechen, sobald er, über die Scheintote gebeugt, Spuren hinterlassen sollte; einen Fingerabdruck nur, ein Haar, eine Schweißperle, die ihm jedes forensische Labor zuordnen müsste. Keiner würde ihm guten Willen unterstellen, sondern nur die Bluttat selbst. In Bänkelsängers Kopf begann es zu rumoren, bis die Vernunft siegte. Für einen Mord, den er nicht begangen hatte, wollte er nicht verantwortlich sein. Bänkelsänger lief eiligst am Weiher entlang und dem Ausgang zu, in der festen Absicht, dort Hilfe zu rufen, Polizei, die Rettung, den Notarzt. Nie waren seinen Beine schneller gewesen. Die Telefonzelle kam schon in Sicht, als ihn ein Einfall überraschte, eine dramaturgische Wendung, die diesem ganzen Erlebnis etwas lehrstückartiges geben würde. Ein kluger Geistesblitz. Bänkelsänger sah die Handlung vor sich, noch nicht spruchreif ausgegoren, aber vielversprechend. Er mäßigte den Lauf, stoppte, rieb sich die Stirn, massierte seine Schläfen und schloss die Augen, um große Gedanken zu fassen. Bänkelsänger lächelte, denn seine Geschichte trug, wie er meinte, neuartige, originelle Züge. Auf der hübschen Jugendstilbank, unter jener ausladenden Linde die auch Dichter- oder Schubertlinde genannt wurde, ließ er sich nieder, spitzte seinen Bleistift und brachte alles gewissenhaft zu Papier.
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