10: LYRIK II
GEZEITENLAUF
Wer zerrt der Worte Eigensinn, Wirft Briefwerk in den Ofen, Zerknüllt der Treue Spur und Schwur, Bricht Worte, bis sie Strophen? Kein Ruhepol, die Uhr stillt nie, Erinnerung zu betten. Kein Getriebe, Zahn um Zahn, Legt Wartezeit in Ketten. Sand rinnt dahin und schert sich nicht Um dehnend lange Weile. Jeder Herzschlag ungezähmt, Springt schon […]
ÜBEREINKUNFT
Wir beide fügen uns kaum, Viel Zuschnitt zu teilen, Lassen uns Breite und Luft, Zum Atmen bisweilen. Und fehlt dir an Laune, So entspinnt sich kein Grund, Der windend und weich Mir spricht nach dem Mund. Wer aus Reden sich nährt, Schenkt Versprechen leicht fort. Stärke nie diese Schwäche, Sei kräftig mir Wort.
WEITBLICK
Wer spürt wonach ich greife Und sieht was vor mir scheint, Wer hört für mich das Reife, Das allenthalben keimt? Gebrauch ich nicht die Brille Zum Blick auf neues Land, Wer nimmt dann Sicht und Wille, Mein Weltbild in die Hand? Wohin mit meinem Leben, Wozu gesteckt der Sinn, Wer solls entdeckt mir geben, Wenn […]
GESICHERTER STEIG
Festgezurrt, dem Sturm entzogen, Rankt blander Nachwuchs am Spalier, Von Wegbereitern zugebogen, In schnörkelloser Unschuldszier. Eingeschirmt muss Schwelgen schweigen, Kein Stoben in die Blätter fegt, Nur längsseits darf sich Reigen zeigen, Der schnöd die jungen Flügel dreht. Besichelt sind die Stacheltriebe, Den Abgrund sichert Nabelschnur, Markierung weist hier zu genüge Recht und willig in die […]
ERDKRAFT
Auf Erden schwendet unerschöpflich Ein Zufall, nach Geschehn zu streben. So tieft die Sinntracht auch in mich, Bis unter Haut und Haar zu leben. Das Würfeln hat zum Glück gelenkt, Hierher mein Sein zu wagen, Es war mir dieser Tick vergönnt, Fleisch und Lust zu tragen. Ich schlepp sie leicht, die Lebenlast, Wird keinem Gott […]
SINGSANG
Oben hoch und unten tief, Da wie dort besungen sein, Irgendwem dazwischen swingend, Überdröhnbar allgemein. Geträller schwirrt aus diesem Kehlchen, Gewöll ins Innenohr gerollt. Im Gleichtakt fremdbestimmtes Klingen, Schräger Harmonie gezollt. Ein Marsch der kleinste Schritte trampelt, Trommelnd feine Wucht zerschlägt, Bleibt trotzdem in der Breite spurlos, Schmält was er des Weges trägt. Wer sich […]
STERNENSTILLE
Kometen weisen mir nicht Ziel, Mag ich noch so schweifen. Alle Schnuppen fallen fremd, Keine lässt sich greifen. Ihr Sternengold zerstäubt sich fern, Stumm die Schleier rauschen. Die Richtung bleibt nur ungefähr, So hell kann keiner lauschen. Es funkelt in der Dunkelheit, Dein Meer aus Wünschen still. Das Vollmondäugelein entschläft, Weil es nicht deuten will. […]
UNTERKUNFT
Mitnichten mag ich planlos zirkeln, Einengend um die Achse drehn, Als Zeiger einer Uhr stur Jede Stund vor Zwölfe stehn. Auf und ab will ich mich werfen, Einkehr meiden, wehrhaft tun, Von strenger Sitte sträubend trennen, Fern von Wohlgebahren ruhn. Wo ist mein Dach zum Drunterbleiben, Mit Boden, der mich hebend trägt? Beim Suchen fühle […]
STIMMUNGSSCHWANKUNG
Schwammgewäsch am frühen Morgen Bringt mittags Plapperplauderei, Allabendliches Wortzeugborgen, Spitzt nachts die Spötterzunge frei. Fängt Unterton erst an zu keifen, Gehorchen weder Maul noch Ohr, Lässt sich der Hohn zur Sichel schleifen, Halbiert er hirnlos den Humor. In geiler Halbheit ritzt er weiter, Witzt Stichelei, speit Wein und Bier, Verbreitet sein Sekret und Eiter, Das […]
MEIN EINTRAG INS HÜTTENBUCH
Der Dichter spinnt, nimmt Silbenschein, Verknüpft ihn eng zu Netzen. Er streng sich fest, verdrillt den Reim, Fängt Wörter, fischt nach Sätzen. Der Dichter brennt denn Mut zur Glut, Kocht Grätenbein zu Leim, Ihm klebt sein Potpourri recht gut, Soll unverreimt nicht sein. Der Dichter zwingt sich schwer zum Salz, Denn Salz erscheint im billig, […]
WINDSPIEL
Wille weht hier und nicht Saat ohne Zwang, Gewitter zu Klang, Gewürm zu Gesicht. Zu leicht mag man lassen, Weilen und passen, Winden fern zusehen Beim Wenden und Drehen. In gestürmten Reimen Drängt Wort und Zeit, Uns zu entkeimen Menschenmöglichkeit.
EINSIEDELEI
Kleingeduckt ins Selbst versenkt, Schlaf seelenruhig, dein Schicksal lenkt. Naturgewalt soll dich bis morgen Nicht gewissentlich besorgen. Ins Bettzeug geflochtener Flaum, Daunenfeder sticht kaum. Schließ dein Äuglein geschwinde, Träum vom Schmiegen im Winde. Vom Obdach fern droht leicht verenden, Armes Pech lässt sich nicht wenden. Befriede dich, vertrau und glaube, Atme Trost im Milbenstaub. Ins […]
ERNÜCHTERUNG
Du legst die Dinge dir zurecht, Glaubst spielend es zu fügen, Bis dir die Gunst gewogen scheint, Und Wünsche wohl genügen. Du träumst von einem Sommertag, Vom Schmeicheln warmer Strahlen, Und hoffst es bleibt dir Last erspart, Ein Engel hilft schon tragen. Du würfelst Zahlen und sie fallen, Wie vom Schicksal leicht gedreht, Bald krazt […]
VERSTEINERUNGEN
Ich breche Schnecken aus dem Kalk, Sammle was mich greifen lässt, Will stündlich jedes Stück behaun, Keile Illusionen fest. Begrenzt müssen mich Füße tragen, So unnahbar der Fels auch winkt. Sein Grau wird irgendwann Gehäuse, Das einst zurück nach Hause bringt. Rührung reibt an Augenlidern, Beim steten Steigen durch die Zeit, Und wo ich die […]
SCHERBENSCHLUND
Abgründig, wie wir endlich sind, Verdammter Scherbenschlund, Zerrst gierig zu dir in den Sog, Verschließend Aug und Mund. Du bricht und spaltest mit Gewalt Wer Freund und Glück geworden, Muss tatenlos dies Splittern spürn, Dein unaufhaltsam Morden. Du pflegst die Willkür ungerührt, Stumpf für Schrei und Tränen, Wo es mir die Kehle schnürt, Scheinst du […]
DER HIMMEL SCHWEIGT
Gibt es ein Wiedersehen am Ende der Zeiten, Muss ich alleine gehen, wer mag mich begleiten? Die Frage bleibt, der Himmel schweigt. Niemand weiß, ob wir uns neu erleben. Wähl ich die richtigen Worte, passend zum Gehen, Oder ist doch am Ende alles gesagt und geschehen? Hab ich bis dann genug getan? Niemand weiß, ob […]
LAST UND LASSEN
Spar Nahtzeug in der Seitentasche, Du kannst getrost verzichten. Wann zwingt schon die Gelegenheit, Um einen Schmiss zu richten? Viel Ehrgeiz will zwar Klinge kreuzen, Sich keine Blöße geben, Doch häng an keinen Klettverschluss, Dein liederliches Leben. Pack Warmes ein und einen Spruch, Zum in den Stein gravieren, Damit von dir ein Zeichen bleibt, Der […]
UNBRAUCHBARES BILD
Kleb mich mit Leim In dein Album hinein. Beschau mich, beküss mich, Lass das Lose dir binden! Pack mich zum Zwecke In deine Schubladenecke. Verstau mich, vergiss nicht, Ich werd dir verschwinden!
BRAUCHBARES BILD
Berühre mich, berühr mich eng, Wie das Eine nur berührt, Doch greif mich nicht, ich bin kein Halt. Nimm dich selbst und nimm dich ganz, Weil mein Begehren nach dir spürt, Nach eigensinnlicher Gestalt.
UNGEBETENES GEBET
Geboten lust- und klaglos folgen Glauben was Erkenntnis nimmt? Nie und nimmer hinterfragen, Ob mancher Psalm nicht zynisch klingt? Prometheus sei gekettet worden, Raunt der fromme Mythenschreiber, Droht jenen die nach Feuer sehnen, Zu lodern rot wie Sündenleiber. Verklärung schleift so viele Ängste Durch Beichte und Beschwörung rund, Verspricht dem Büßer Seelenheil, Jenseits nach der […]
HERBARIUM
Verdichtet ins Gedicht, Zwischen Buchseiten gepresst. Bis hin zum Trockenrand Blasst wörtlich der Rest. Was wirbelt und winkt mehr, Welches Blatt steht im Saft? Sinne verzweigen Und lassen an Kraft. Wer macht Sprache uns platt, Aus deren Blütenstrahl Stroh? Mündlich welkt es dahin Und verstummt irgendwo. Sinne verzweigen Und lassen an Kraft. Was wirbelt und […]
KLEINE BALLADE VOM TAFELSALZ
Da liegt es stumm am Frühstückstisch, Als kleiner Glitzerstein, Den Wind mit Schwung zu Boden wischt, Fast ordentlich gemein. Hat schlapp die Chance knapp verfehlt, Das Gelb vom Ei zu krönen, Drum sind die Tage ihm gezählt. Dem Nichtsnutz keine Tränen! So faul sein Würzen zu versäumen, Um Hasardeur zu werden, Verspielt der Sinne freches […]
STEIG UND STILLE
Ich rede mürb auf beide ein, Sich redlich zu vertragen, Doch was ich alles bieg und dreh, Sie weichen meinen Fragen. Es ist ihr steter Widerhall, Der keinen Segen gönnt, Denn steige ich zu meiner Höh, Das Still mich “Streber” nennt. Verweilt mein Blick, um still zu sehn, Dem Farbenspiel zu lauschen, Hängt Schritt und […]
AUSKLANG
Es schwindet Zeit und ungenau Sind Gemüt und Glieder, Webenschleier herbsten grau, Die Sonne senkt sich früher. Ich spinne mir am Silbensinn, Möcht ins Papier ihn schlagen, Doch mein Kokon bleibt Hauch und dünn, Gering ist sein Bewahren. Des Sommers Schwur entwindet sich, Verweht wie Staub und Spreu, So sesshaft wie ein Federstrich Zieht Neues […]